Arbeitgeberattraktivität in herausfordernden Zeiten

28.11.2025 | Human Ressources

Wenn Märkte unsicher sind und Jobs gestrichen werden – welche entscheidende Rolle kann HR im Unternehmen einnehmen?

Arbeitgeberattraktivität in herausfordernden Zeiten
Arbeitgeberattraktivität in herausfordernden Zeiten

Viele Unternehmen stehen aktuell unter massivem Druck: sinkende Umsätze, hohe Energiekosten, wankende Geschäftsmodelle, Eigentümerwechsel und Mitarbeiter:innen Abbau. Die Geschwindigkeit, mit der Veränderungen heute passieren, unterscheidet sich deutlich von früheren Krisen – Veränderungen erfolgen gleichzeitig, abrupt und betreffen Industrie, Handel und Dienstleistung gleichermaßen. In manchen Branchen, etwa der energieintensiven Industrie, explodieren die Kosten, in anderen Branchen brechen internationale Absatzmärkte ein.

Die Arbeitgeberattraktivität gerät ins Wanken: Boni werden gekürzt, KV-Abschlüsse liegen unter der Inflation, Jobs werden gestrichen und Führungskräfte müssen Entscheidungen treffen, die unbeliebt sind. Gleichzeitig stehen Personalabteilungen auf dem Prüfstand, weil vermeintlich nur Prozesse abgearbeitet werden, während das Business leidet.

Für Mitarbeiter:innen erzeugt dies Unsicherheit, Vakuum, Frustration bis zur Suche nach alternativen Arbeitgebern. Zahlreiche Beispiele aus der Praxis zeigen: Gerade in schwierigen Zeiten beobachten Mitarbeiter:innen sehr genau, ob das Management die richtigen Dinge tut – und ob HR als strategischer Partner agiert, der Transparenz schafft, Orientierung gibt, Talente hält und die Führung stärkt.

Lösungsansätze

Arbeitgeberattraktivität in Krisen entsteht nicht durch Wohlfühlmaßnahmen, sondern durch wirksame, gesamtunternehmerische Entscheidungen. Was Mitarbeiter:innen jetzt brauchen ist Klarheit über die Zukunft, ehrliche Kommunikation und das Vertrauen, dass das Management die richtigen Schritte setzt. Volle Transparenz über Risiken, Optionen und notwendige Maßnahmen wirkt stabilisierend und kann sogar die Loyalität erhöhen, wenn sie ehrlich und konsequent gelebt wird.

„In schwierigen Zeiten hat HR eine strategische Funktion.“

Rudolf Patschg, HR-Experte

Für HR bedeutet das, sich bei der Geschäftsführung als strategischer Partner zu positionieren. Es geht nun in erster Linie nicht mehr darum, Prozesse richtig auszuführen. In vielen Fällen konnte die Stabilität und Attraktivität des Unternehmens dadurch gehalten werden, dass HR bei der Geschäftsführung für Maßnahmen zu kämpfen bereit war. Maßnahmen die den Fortbestand des Unternehmens sichern können. Es braucht Mut und die Kraft, sich Konfrontationen zu stellen, um Boni-Systeme zu verändern und über ein neues Performance-Management zu sprechen. Es braucht Entschlossenheit, um die Schlüsselkräfte zu identifizieren und zu binden, bis hin zur aktiven Unterstützung des Managements in der Krisenkommunikation.

Es hat sich gezeigt, dass auch harte, unpopuläre Maßnahmen die Arbeitgeberattraktivität nicht schädigen, sondern in einigen Fällen sogar verbessern können, wenn die getroffenen Entscheidungen nachvollziehbar sind, fair sind und transparent kommuniziert werden. Mitarbeiter:innen sind bereit, Einschnitte zu akzeptieren, wenn sie den Sinn erkennen und wenn Führungskräfte sichtbar Verantwortung übernehmen. Dazu ist es wichtig, dass HR nah am operativen Geschäft agiert und gesamtunternehmerisch denkt. Als Arbeitgeber attraktiv bleibt ein Unternehmen in schwierigen Zeiten vor allem dadurch, dass es handlungsfähig bleibt, seine Werte nicht aus den Augen verliert und den Mitarbeiter:innen Orientierung bietet.

Beispiel

Ein Industrieunternehmen mit rund 2.000 Mitarbeiter:innen befand sich nach einer tiefgreifenden Sanierung in einer besonders herausfordernden Phase: Das hochprofitable Mutterunternehmen entschied, die verlustreiche Tochtergesellschaft zu verkaufen – ein Prozess, der statt geplanter sechs Monate schließlich drei Jahre dauerte und mehrere gescheiterte Anläufe umfasste. Die wirtschaftliche Lage war angespannt, der zukünftige Eigentümer ungewiss, die Stimmung in der Belegschaft entsprechend fragil.


In dieser Situation reichten klassische HR-Instrumente nicht aus. Entscheidend war, Kultur, Entlohnung und Kommunikation in den Mittelpunkt zu stellen. Überholte Boni- und Zielsysteme mussten abgeschafft und neu ausgerichtet werden, da sie nicht mehr zur Realität passten. HR musste sich seinen Platz in der Geschäftsführung erkämpfen, kritische Themen sichtbar machen und sich auch schwierigen Diskussionen – etwa mit dem Betriebsrat – stellen. 


„Wir sehen, dass ihr das Richtige tut“, war die Rückmeldung der Belegschaft ans Management. Durch Transparenz und durch konsequente Maßnahmen gelang es, Schlüsselkräfte zu halten und das Unternehmen trotz Unsicherheit arbeitsfähig und attraktiv für neue Mitarbeiter:innen zu halten.

Strategien für Arbeitgeberattraktivität in herausfordernden Zeiten

1. Fokus auf Wirksamkeit statt Perfektion

Im Mittelpunkt sollte stehen, die richtigen Dinge zu tun – nicht Prozesse perfekt abzuarbeiten. Das erfordert zweierlei: Erstens echte Nähe zum Business, sei es auf der Baustelle, im Werk oder im Vertrieb. Zweitens die konsequente Ausrichtung bei allen Maßnahmen auf den Unternehmenserfolg – auch wenn das unbequem ist.

2. Volle Transparenz als Stabilitätsfaktor

Offene Kommunikation und kontinuierliche Information schaffen Vertrauen und erhöhen die Arbeitgeberattraktivität messbar. Psychologische Sicherheit entsteht, wenn Mitarbeiter:innen verstehen, was auf sie zukommt – gerade in Krisen. Führungskräfte sind darauf oft unzureichend vorbereitet. Sie müssen aktiv auf Krisenkommunikation trainiert werden und in engem Kommunikationsrhythmus bleiben, statt nur im Anlassfall zu reagieren.

3. HR muss seinen Platz in der Geschäftsführung einfordern

Gerade in herausfordernden Zeiten darf HR nicht auf seine Rolle als Supportfunktion reduziert bleiben. Der operative Service-Anteil wird uns „geschenkt“, die strategische Rolle nicht. Sie muss aktiv eingefordert und erkämpft werden – durch Haltung, Nähe zum Geschäft und klare Positionierung. Ob HR-Leitung oder Business Partner: Jede und jeder kann entscheidend dazu beitragen, HR als strategische Stimme im Unternehmen zu verankern.

4. Top-Performer halten, um (fast) jeden Preis

In schwierigen Zeiten ist zielgerichtete Personalentwicklung – insbesondere für Talente – entscheidend. Wenn der Unternehmenserfolg fehlt, währt Loyalität in einer Organisation auch nur begrenzt. Top-Performer und Schlüsselkräfte wechseln frühzeitig, sie haben mehr Chancen am Arbeitsmarkt. Verlassen die Schlüsselkräfte, die wesentlich zur Gesamtleistung beitragen das Unternehmen, schadet das unmittelbar der Gesamtperformance und auch dem Image am Arbeitsmarkt. Die Top-Performer zu fördern und zu halten, wird damit zum Erfolgsfaktor.


Fazit: Arbeitgeberattraktivität in herausfordernden Zeiten

Arbeitgeberattraktivität in Krisenzeiten entsteht nicht durch Benefits oder Schönwetter-Kommunikation, sondern durch Mut, Klarheit und unternehmerische Haltung. HR spielt dabei eine zentrale Rolle: als Stabilitätsanker, als strategischer Partner und als Treiber der „richtigen Dinge“. Transparenz, Performance, Führung und Nähe zum operativen Geschäft entscheiden darüber, ob ein Unternehmen trotz Einschnitten attraktiv bleibt – oder die besten Leute verliert.

Irmgard Prosinger

Die Autorin

Irmgard Prosinger ist Senior Consultant mit langjähriger Erfahrung in Marketing, Vertrieb, Recruiting und Employer Branding. Dank ihres interdisziplinären Hintergrunds erkennt sie rasch wirksame Hebel in Organisationen und begleitet Führungsteams auf Augenhöhe. Privat liebt sie den Austausch mit Menschen – und hört am liebsten Bruce Springsteen.

irmgard.prosinger@wolkenrot.at